Experimentierfreudiger Jazz mit Weltenbummler-Flair: Michel Fernandez begeistert live mit seinem Quintett im legendären Hot Club de Lyon. 

Wenn Jazz ein Zustand zwischen Erdung und Ekstase ist, dann hat Michel Fernandez mit seinem neuen Album Live au Hot Club de Lyon genau diesen Punkt getroffen – und das mit der Wucht eines musikalischen Zyklons. Der Saxophonist, seit über 50 Jahren eine feste Größe in der französischen Jazzszene, zeigt sich hier im perfekten Zusammenspiel mit seinem aktuellen Quintett, das rhythmisch wie melodisch ganz oben mitspielt.

Was sofort auffällt: Diese Band hat Feuer – und nicht nur, weil das Repertoire vom titelgebenden Global Warning bis zum traditionell verwurzelten La forêt de Bougarabou musikalisch glüht. Vielmehr ist es die lebendige Chemie zwischen den Musikern, die sich in wuchtigen Saxophon-Duellen, leuchtenden Pianolinien und fein ziselierten Bass- und Schlagzeugpassagen entlädt. Fernandez und der „neue“ Mann im Line-Up, Julien Chignier, entfachen im Zwiegespräch ihrer Blasinstrumente eine Dynamik, die man so nur live erlebt – und die hier hervorragend eingefangen wurde.

Überhaupt, der Klang: Glasklar, aber nie steril, mit genau der richtigen Portion Club-Atmosphäre. Ludwig Laisné, Präsident des Hot Club de Lyon und Tonverantwortlicher, hat es geschafft, das brodelnde Energielevel eines Konzertabends einzufangen, ohne dass es nach bloßem Mitschnitt klingt.

Die Stücke selbst pendeln zwischen Groove-getriebenem Rausch und tiefem Spiritual Jazz. Besonders Chromatisme crânien oder Diminutions zeigen, wie gut das Quintett die Balance aus Struktur und freiem Spiel beherrscht. Und wenn Fernandez auf For Ludwig L. allein mit dem Tenorsax das Publikum um den Finger wickelt, wird klar: Hier spielt kein alter Hase auf Autopilot, sondern ein leidenschaftlicher Musiker auf dem Zenit seiner Ausdruckskraft.

Unterm Strich ist Live au Hot Club de Lyon kein belangloses Live-Album zum Nebenherhören, sondern ein Statement: energetisch, inspiriert und stilistisch breit gefächert. Wer wissen will, wie Jazz heute klingen kann, wenn er seine Wurzeln nicht verleugnet, aber auch nicht in der Nostalgie versinkt – hier ist die Antwort.

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